"Es ist wohl mehr Trieb als Absicht": Wie der "Engel von Bremen" zur Giftmörderin wurde

Gesche Gottfried schien vom Pech verfolgt. Um sie herum erkrankten und starben ihre Lieben. Eltern, Ehemänner, Kinder, Freunde, der Zwillingsbruder – alle wurden von rätselhaften Erkrankungen dahingerafft. Und Gesche kümmerte sich, pflegte Familie und Freunde vom Bett bis zur Bahre. Zum“Engel von Bremen“ wurde sie gemacht, die gläubige Frau, die 1785 in ärmliche Verhältnisse hineingeboren wurde. Und der das Schicksal so übel mitspielte.
Im Jahr 1828 wurde sie wegen mehrfachen Mordes verhaftet. Der Engel war eine Giftmischerin, die 15 Menschen umgebracht und mindestens 19 weitere krank gemacht haben soll. Bis heute wird über die Motive der Frau gerätselt. Auch sie selbst konnte nur wenig zur Aufklärung beitragen. Drei Jahre saß sie in Haft, bevor das Todesurteil vollstreckt wurde. In dieser Zeit wurde sie verhört, ihre Aussagen sind als Protokoll dokumentiert und offenbaren vor allem eine Ignoranz gegenüber den eigenen Taten. „Einen Grund, weshalb ich dem Kind etwas gab, hatte ich nicht. […] Allein ich habe so manchem gegeben, der mir nichts getan hat“, soll Gottfried gesagt haben.
Die erzwungene Heirat
Magarethe Gottfried, geborene Timm und genannt Gesche, kommt 1785 als Tochter eines Damenschneiders und einer Wollnäherin in ärmlichen Verhältnissen zu Welt. Sie wird als schön beschrieben, auch als etwas eitel. Sie will Schauspielerin werden, nimmt heimlich Tanz- und Französischunterricht. Vom Heiraten will sie nichts wissen. Als sie 21 Jahre alt ist, macht ihr Vater damit Schluss und verheiratet sie mit dem Sattlermeister Johann Gerhard Miltenberg. Dadurch steigt die Familie gesellschaftlich und finanziell auf.
Glücklich wird Gesche nicht, denn ihr Ehemann, ein „verantwortungsloser Säufer“, wie Peer Meter in „Gesche Gottfried: Eine Bremer Tragödie“ schreibt, verpulvert das elterliche Erbe im Bordell und am Tresen. Sein körperlicher Verfall beschleunigte sich, er wurde zum Pflegefall. Und zu Gesche Gottfrieds erstem Opfer. „Sie litt unter dem Zusammenleben mit dem ungeliebten Gatten, dessen Pflegerin zu werden ihr jetzt bevorstand. Es war nicht Hass, was sie gegen ihn empfand, sondern Überdruss bis zum Ekel“, schrieb Ludwig Scholz über die möglichen Motive in seiner „kriminalpsychologischen Studie“ 1913. Nach sieben Jahren Ehe und drei Kindern machte Gesche Schluss. Um ihren Mann zu töten, wurde sie kreativ: Ihre Mutter hatte Brot mit Mäusebutter – einer Mischung aus Arsenik und Schmalz – beschmiert und auf dem Dachboden ausgelegt. Gesche kratzte Das Gift herunter und gab es in das Frühstück das ungeliebten Ehemanns. Er litt unter Erbrechen, Durchfall und Durst – und erholte sich. Daher gab sie eine weitere Dosis in seine Hafersuppe. Vier Tage später starb er, offiziell an „hitzigem Gallenfieber“, so sein Arzt Dr. Olbers.
Wie die Familie ermordet wurde
Zwei Jahre später brachte Gesche Gottfried ihre Mutter um, die krank bei ihrer Tochter eingezogen war, um sich pflegen zu lassen. Gottfried mischte Arsenik unter die Limonade. „Während ich das Gift einmache, gibt mit der liebe Gott ein herzliches lautes Lachen, dass ich mich erst selbst davor erschrak. Aber gleich besann ich mich, dies gäbe mir der liebe Gott ein, zum Beweis, dass so meine Mutter nun bald im Himmel lachen werde“, schreibt Gottfried in Haft über den Mord. Zwei Tage später stirbt ihre Mutter unter Qualen.
„Wie in einem Rausch folgt nun die Ermordung ihrer Familie“, schreibt Peer Meter. Ihre jüngste Tochter bekommt das Gift auf Butterkuchen, der von der Trauerfeier der Oma übrig war. Eine Woche später vergiftet sie ihre älteste Tochter, die siebenjährige Adeline. Nach vier Tagen Todeskampf verstirbt das Kind. Sechs Wochen später mischt sie ihrem Vater Gift in die Suppe, er stirbt nach einem Tag. Danach folgte ihr Sohn Heinrich, allerdings erst nach elf Wochen. „Warum ich diesen Knaben länger leben ließ als die anderen, weiß ich nicht“, zitiert Meter aus dem Gottfried-Protokoll. Ein Jahr später verstarb auch ihr Bruder, der als verschollen gegolten hatte und plötzlich wieder aufgetaucht war. Die ganze Familie war bis 1816 ausgelöscht – nur Gesche überlebte.
Über die Gründe der Morde äußert sich Gottfried widersprüchlich. Sie erklärt in der Haft, dass sie fürchtete, dass der Weinhändler Michael Christoph Gottfried sie mit den Kindern nicht hätte heiraten wollen. Außerdem wären ihre Eltern auch gegen die Verbindung gewesen. Beide Gründe widerruft sie später. Und: Nur einen Tag vor der Eheschließung mit Gottfried, dessen Namen sie annahm, mischt sie auch ihm Arsenik ins Essen. Er starb weniger Tage später.
Finanzielle Unsicherheit für Gesche Gottfried
Ähnlich wie nach der ersten Ehe stand Gesche vor finanziellen Problemen. Miltenberg hatte ihr eine verschuldete Sattelei hinterlassen, Gottfried einen Berg Schulden. Nach der ersten Ehe musste ihr Vater es richten, nach Ehe Nummer 2 machte es Gesche selbst – die Taktik blieb freilich gleich: Beide lügten. Sie vertrösteten die Gläubiger, Gesche nahm sogar einen Kredit auf, obwohl sie selbst über Vermögen verfügte, um ihre Lebenslage nach außen besser zu verkaufen. „Wer hatte nicht Sympathie für die Schwergeprüfte! Dazu verdoppelte sie die Beweise ihrer schon seit Jahren anerkannten Wohltätigkeit. Als Trösterin und Engel erschien sie bei den Armen, Kranken und Wöchnerinnen und ward gesegnet überall“, schreibt Scholz etwas hämisch.
Sechs Jahre später trat – zumindest offiziell – ein neuer Mann ins Leben von Gesche. Den Modehändler Paul Thomas Zimmermann segnete 1823 zwar auch das Zeitliche (welch Überraschung), doch verheiratet waren die beiden nicht. Gesche erbte trotzdem.
Danach vergiftete sie wahllos Menschen. 1825 starb ihre Freundin Anna Lucia Meyerholz, eine Musiklehrerin, der sie die Mäusebutter auf Zwieback geschmiert hatte. Ihren Nachbarn Johann Mosees quälte sie fast ein Jahr mir Arsen, bis er 1825 nach langem Leiden verstarb. Finanziell stand sie am Abrund, ihr Haus musste sie an das Ehepaar Rumpff verkaufen. Allerdings stellten sie Gesche als Haushälterin ein gegen Kost und Logi. Als „Tante“ lebte sie in deren Haushalt und kümmerte sich um die Familie. Bis auch Wilhelmine Rumpff, nur kurz nach einer Geburt, zwei Tage vorm Heiligabend 1826 starb. Auch die Amme des Säuglings wurde vergiftet.
Mehr Mäusebutter
Im Mai darauf brachte sie die Magd Freundin Beta Schmidt und deren dreijährige Tochter um. Dieser Mord ist fast zynisch. Anfangs hatte sie die Mäusebutter von ihrer Mutter erhalten. Als diese verbraucht war, mordete Gesche auch nicht mehr. Sechs Jahre blieb es ruhig um die Giftmörderin. Bis sie ihre Freundin Beta Schmidt darum bat, in einer Apotheke neue Mäusebutter zu kaufen. Mit dem Arsen mordete sie weiter. Im Herbst 1827 musste ihr alter Freund Friedrich Kleine sterben.
Erst der Mordversuch an Johann Rumpff sollte zu ihrem Verhängnis werden. Auch ihm hatte sie Arsen in Speisen gemischt, er erkrankte, starb aber nicht. Ein Stück Schweinefleisch, das er gut vertragen hat, brachte ihn auf Gesches Spur. Denn vom dem Stück schnitt er sich immer nur kleinere Ecken ab – der Rest wanderte in den Vorratsschrank. Als er es am Tag später hervor holte, fielen ihm kleine weiße Körner darauf. Als er Gesche ansprach, meinte diese, dass es Fett sei. Doch sein Misstrauen war geweckt. Er ließ die Körner untersuchen und Arsen wurde nachgewiesen.
Haft und Enthauptung
Am 6. März 1928 wurde Gesche Gottfried verhaftet. Sie saß drei Jahre in Haft und wurde vom Senator Franz Friedrich Droste verhört. Sie gestand dort 15 Morde und viele weitere Vergiftungen. Bei einigen konnte sie sich kaum erinnern, ob sie das Gift nun auf Brot oder Kuchen geschmiert hatte. Sie erzählte davon, dass sie gegen viele Vergiftungsopfer auch gar nichts hatte. Trotzdem mussten sie sterben. Fast unbedacht und ohne große Reue schildert sie Droste ihr Vorgehen.
Drei Jahre Untersuchungshaft für ein Kapitalverbrechen sind unüblich in den 1830er Jahren. Doch das geschah nicht ohne Grund: Die Justiz wollte dem Rätsel der Gesche Gottfried auf den Grund gehen, die Hintergründe der Morde verstehen – aus wissenschaftlichen und humanitären Motiven. Ihr Fall soll einer der ersten sein, in dem die Verteidigung auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert. Ihr Anwalt Friedrich Leopold Voget schilderte laut Meter „eine kalt berechnende, aus niederen, gewinnsüchtigen Motiven mordende Gesche Gottfried“. Meter übt Kritik an der Darstellung der Frau – und dem Bremer Bürgertum. Vielmehr habe es schon Jahre vor der Verhaftung Anzeichen dafür gegeben, dass Gesche Gottfried nicht als „Engel von Bremen“ angesehen wurde, sondern dass es Warnungen geben habe, dass sie mit Gift hantiere. Und dass diese Warnungen ignoriert wurden. Der Nervenarzt Ludwig Scholz kommt 1913 zu dem Schluss, dass Gesche Gottfried keine durchtriebene, böse Kreatur gewesen sei, sondern „eine Frau, die ganz von Selbstbetrug durchdrungen sei, so dass“ die Schauspielerin Gottfried mit der echten Gottfried letzen Endes in einer Person zusammenfloß“. Am 21. April 1831 wird Magarethe „Gesche“ Gottfried vor rund 35.000 Zuschauern auf dem Bremer Domplatz enthauptet. Es sollte die letzte öffentliche Hinrichtung in Bremen sein.
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